Forschungsfrage: “Welche Effekte gehen von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen auf die politische Kultur und auf das Verständnis von Demokratie aus?“
(1) Je stärker die Bedrohungswahrnehmung durch eine Fremdgruppe ist, desto nationalistischer und exklusiver wird das eigene (demokratische) politische System interpretiert (Identifikation mit einer ethnisierten politischen Gemeinschaft).
(2) Je stärker gruppenbezogene Vorurteile, Muslimfeindschaft, Islamophobie und Diskriminierungstoleranz ausgeprägt sind, desto deutlicher wird einer Beschränkung bürgerlicher Freiheiten und politischer Rechte für die Fremdgruppe zugestimmt (Ablehnung der demokratischen Werte und Normen sowie der demokratischen politischen Institutionen).
(3) Je stärker gruppenbezogene Vorurteile, Selbstbezug und ein Rückzug aus der Gesellschaft vollzogen werden, desto deutlicher werden die demokratischen Normen und Werte der (deutschen) Demokratie abgelehnt.
(4) Je stärker eine Radikalisierung voranschreitet, desto mehr wird ein demokratisches, tolerantes politisches System abgelehnt (Ablehnung der Legitimität der Demokratie). Es kommt zu einer Ausbildung einer anti-demokratischen politischen Kultur.
Die Entwicklungen der (Co-) Radikalisierung in Bezug auf die politischen Einstellungen laufen phasenweise parallel und mit Bezug auf die jeweilige (politische) Gemeinschaft. Sie münden in eine Ablehnung der bestehenden Demokratie in Deutschland und Europa sowie dem Wunsch nach einem politischen System, das die eigenen, nicht-demokratischen politischen Normen und Werte unterstützt.
Zur Klärung dieser Annahmen werden die
Das Projektteam Kiefer wird zunächst alle relevanten Studien zum Thema „Radikalisierung und Prävention“ der letzten Jahre – im nationalen wie im internationalen Kontext – zusammentragen. Diese Ergebnisse werden dann in die vom Projektteam S. Pickel etablierte Literatur- und Materialdatenbank einfließen. Für die RIRA-Datenbank werden seitens Projektteam Kiefer die aufgearbeiteten Ergebnisse des Projektes “Mapping und Analyse von Präventions- und Distanzierungsprojekten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung” berücksichtigt.
Ferner wird das Projektteam Kiefer den Fokus auf die übergeordnete Frage der Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen richten. In Beantwortung der Frage nach Radikalisierung, Rahmenbedingungen für Radikalisierung und Gründen für Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen erhebt Projektteam Kiefer primär qualitative Daten.
Es werden sowohl biografische Interviews als auch Expert*inneninterviews durchgeführt
Es sind ebenfalls Interviews mit angehenden Lehrkräften für den Islamischen Religionsunterricht geplant. Zweck dieser qualitativen Erhebung ist es, Radikalisierungsprozesse zu rekonstruieren und mögliche Interventionsansätze bei Radikalisierung zu identifizieren.
Als Mehrwert soll die Frage von „Konversion, Radikalisierung und Prävention“ beleuchtet werden, da in der Gruppe der Konvertit*innen in besonderer Weise Radikalisierungspotentiale wahrgenommen werden. Ziel ist es zu eruieren, ob muslimische Konvertit*innen eine relevante Zielgruppe für Prävention darstellen.
Das Leipziger Projektteam bestehend aus Prof. Dr. Decker und Kazim Celik beschäftigt sich mit den Dynamiken, die sich in den Bedingungen und der Bedeutung von Radikalisierung unter Einschluss der individuellen Sinn- bzw. Bedeutungsstrukturen finden lassen. Innerhalb der Radikalisierungsspirale liegt der Schwerpunkt auf der Bestimmung der Ausbreitung von Extremismus und den Gründen für extremistische Co-Radikalisierung, speziell unter Jugendlichen und jungen
Erwachsenen.
Das Team des sozialpsychologischen Teilprojekts besteht aus Projektleiter Prof. Dr. Immo Fritsche und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter M.Sc. Psych. Fabian Hess.
Ko-Radikalisierung von Gruppen kann durch gegenseitige Bedrohungswahrnehmungen ausgelöst werden, wie sie beispielsweise anlässlich Diskriminierungserfahrungen oder Furcht vor terroristischer Gewalt entstehen können. Auf Grundlage vorangegangener empirischer Forschung ist anzunehmen, dass derartige Bedrohungswahrnehmungen ethnozentrische Tendenzen von Personen erhöhen.
Diese sind in der Regel mit einer erhöhten Identifikation mit der eigenen Gruppe, persönlicher Extremisierung in Richtung wahrgenommener Gruppennormen sowie feindseligen und abwertenden Einstellungen gegenüber der jeweiligen Fremdgruppe verbunden. Damit ist ein Fortschreiten der Ko-Radikalisierungsspirale wahrscheinlich.
Das sozialpsychologische Teilprojekt untersucht die Randbedingungen dieser ko-radikalisierenden Effekte und Möglichkeiten, diese Prozesse zu verhindern. Dabei geht es insbesondere um folgende Annahmen. Bedrohung führt insbesondere dann zu extremisierten (anti-)religiösen und fremdgruppenfeindlichen Einstellungen und Handlungsintentionen, wenn die soziale Kategorisierung in (antagonistische) muslimische und nicht-muslimische Gruppen im Alltag salient ist, also im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Wahrgenommene Bedrohung im Kontext eines muslimisch/nicht-muslimischen Konflikts kann nicht nur konfliktfördernde Einstellungs- und Verhaltensreaktionen hervorrufen, sondern auch solche, die zur Reduktion des Konflikts – oder gar zur Kooperation – beitragen. Dies sollte davon abhängen, welche Normen der muslimischen oder nicht-muslimischen Eigengruppe in der Bedrohungssituation salient sind.
Gruppenbasierte Reaktionen auf Bedrohung sollten insbesondere dann auftreten, wenn Muslim*innen oder Nicht-Muslim*innen ihre jeweilige Gruppe als handlungsfähig – und daher als Ersatz für auf persönlicher Ebene bedrohte Handlungsfähigkeit – erleben. Ob dies zu erhöhter Feindseligkeit gegenüber der jeweiligen Fremdgruppe beiträgt, sollte davon abhängen, ob kollektive Handlungsfähigkeit scheinbar primär durch kollektives Engagement im Intergruppenkonflikt entsteht oder durch alternative kollektive „Projekte“ (z.B. Durchführung von Gemeinwohlkampagnen).Diese Fragen werden insbesondere durch experimentalpsychologische Studien anhand muslimischer und nicht-muslimischer Stichproben untersucht.
Unterrichtseinheiten zum Islam sind im Religions- und Ethikunterricht in allen Bundesländern fest verankert. Kann solcher Unterricht einen eigenständigen Beitrag dazu leisten, muslimisches Leben in Deutschland in seiner Vielfalt vorurteilssensibel wahrzunehmen und (Ko)Radikalisierungstendenzen präventiv entgegenzuwirken?
Diese Frage steht im Zentrum der Überlegungen des Projektteams am Institut für Religionspädagogik der Universität Leipzig. In enger Abstimmung mit den Leipziger Kolleg_innen sowie dem Göttinger Team um Prof. Riem Spielhaus, entwickeln wir – vor dem Hintergrund der in RIRA erhobenen empirischen Daten – konzeptionelle Grundlagen sowie darauf bezogene Unterrichtsmaterialien für Islameinheiten im Religions- und Ethikunterricht.
Das Projektteam Gert Pickel besteht aus Projektleiter Prof. Dr. Gert Pickel, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Verena Schneider sowie zusätzlich (ohne Finanzierung des BMBF) einbezogen Dr. Alexander Yendell (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt). Das Projektteam G. Pickel widmet sich innerhalb des RIRA-Konsortiums vor allem der Beantwortung der Frage „Welche Relevanz hat Religion für Radikalisierung – und wie entwickelt sich Radikalisierung und Co-Radikalisierung speziell in der Postadoleszenz?“. Aufgrund unserer Expertise in der Religionssoziologie, der Jugendsoziologie, der Forschung zu Rechtspopulismus und der Vorurteilsforschung, konzentriert sich unser Teilprojekt auf den jugendspezifischen Gründen für (Co-)Radikalisierung, sowie Auswirkungen von Vorurteilsdiskursen wie Bedrohungsgefühlen mit religiösem Bezug auf Radikalisierung unter nichtmuslimischen und muslimischen Jugendlichen, Postadoleszenten oder Erwachsenen.
Diese Fragestellung versuchen wir mithilfe eines Mixed-Method-Designs in enger Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen des Konsortiums zu beantworten.Unsere Annahmen sind, dass: (1) Sich religiöse Gemeinschaften, insbesondere der Islam, besonders gut als Referenzgruppe für Abwertungsprozesse und Diskriminierung und somit Ausgangspunkt für Co-Radikalisierung bzw. Radikalisierung mit dem Zielpunkt Anti-Islam eignen; (2) religiöse Zugehörigkeiten mit insbesondere dogmatischer Ausrichtung Radikalisierungsprozesse bestärken können; (3) das öffentliche Meinungsbild von Religionsgemeinschaften und ihre Ethnisierung ein Umfeld für eine über kulturelle Differenzen gerechtfertigte Radikalisierung schafft; (4) gerade in dynamischen Lebensbedingungen befindliche junge Erwachsene besonders anfällig für Radikalisierung sind und (5) gerade auch (liberale) religiöse Gemeinschaften durch ihren Fundus an Sozialkapital und den bestehenden Gelegenheitsstrukturen in der Lage sind Radikalisierungsprozessen entgegenzuwirken.
Das Teilprojekt am Leibniz-Institut für Bildungsmedien (GEI) analysiert Materialien für islambezogene Unterrichtseinheiten im Gesichts-, Geographie- sowie Politik/Sozialkundeunterricht (Lehrpläne, Schulbücher, ergänzendes (online-)Material) systematisch mit einem Fokus auf religiöse, kulturelle bzw. kulturalisierende wie politische Implikationen bzw. Leerstellen.
Projektleitung: Prof. Dr. Riem Spielhaus
Zuletzt sollen die wissenschaftlichen Ergebnisse so aufbereitet werden, dass sie – als Präventionstool – passgenau und didaktisch auf die pädagogische Praxis des islamischen und des christlichen Religionsunterrichts implementiert werden können.
Konsortialleitung: Prof. Dr. Susanne Pickel
Universität
Duisburg-Essen
Forsthausweg 2
47057 Duisburg
+49 (0) 203 379 / 3083